Château Séguin

Bordeaux-Arrivage

 

Als wohl einer der ersten habe ich die 2015er-Ausgabe des Château Séguin aus der Appellation Pessac-Léognan direkt nach Auslieferung probiert. Der wie immer subjektiv bewertende Heiner Lobenberg polarisierte mit 98-100 Punkten für diesen Wein - eine Note, die er auch Weinen gibt, die in der Subskription locker die 100-Euro-Marke knacken (Séguin kostete in Subskription 25 €, nach der Abfüllung 40 €). Dementsprechend vergleicht er den Wein appellationsintern mit Diven wie Haut-Brion, La Mission oder Pape Clément. Die Farbe ist entfernt vom Schwarzvioletten mancher seiner Konsorten, eher ein blickdichtes Kirschrot. Der erste Duft ist bemerkenswert burgundisch: Kirsche, gelbe Pflaume, Brombeere, etwas Himbeere und einen Tick Erdbeere. Dann im Mund sehr viel Druck, Tanninmassen schieben sich vor, geradezu bittere Gerbstoffe, so dass ich starke Zweifel hatte, dass der Wein irgendwann seine Balance finden würde. Der Duft ist absolut edel, wird von etwas Zigarrenkiste flankiert, die Eleganz ist ganz im Stile eines Pessacs, die Kraft geht jedoch eher Richtung St. Julien – Pauillac wird in seiner Nervigkeit nicht erreicht –, als Vergleich kommt mir der ebenfalls vom Burgund geprägte Léoville Poyferré in den Sinn. Nach 18 Stunden im Dekanter sind die Tannine butterweich, der Wein duftet puristisch nach Brombeere, allerdings in seiner wilden Form, hier kommt die Duftigkeit der Merlot zum Vorschein (der Wein besteht je zur Hälfte aus Merlot und Cabernet Sauvignon). Die Cabernet sorgt für Struktur: Der Wein wirkt nie verwaschen, behält zu jeder Zeit seine Form, ist immer fokussiert. Dann diese Wildheit, die Würze dieses Weines ist schon beeindruckend. Nach weiteren sechs Stunden im Dekanter offenbart sich eine enorm süße Frucht nach Heidelbeere und Maulbeere. Reminiszenzen an einen kürzlich getrunkenen Côte-Rôtie in seiner Weichheit kommen herauf, weißer Pfeffer kommt hoch, der Wein ist sehr mineralisch – nicht diese dunkle Schiefermineralität, sondern die von heiß gewordenen weißen Steinen herrührende. Darüber hinaus kommt mir als Vergleich ein Südfranzose auf Carignanbasis. Der Wein ist sicherlich noch einiges entfernt von den beiden Riesen Haut-Brion und La Mission, doch der Vergleich mit dem sich in den letzten beiden Jahren nochmals deutlich gesteigerten Pape Clément ist nicht so abwegig... Der Wein gehört sicher zehn, für die Geduldigen besser 15 oder 20 Jahre weggelegt, doch bietet auch schon jung großes Trinkvergnügen – wie eben bewiesen – bei mehr als fair kalkuliertem Preis.